April-Sturm
So stark wie an diesem 20. April 1889 hatte es seit zwei Monaten nicht mehr geschneit. Der Arzt hatte richtig Mühe, sich gegen den Schneegraupel anzustemmen. Das Haus des Zoll-Inspektors lag etwas außerhalb des Dorfes. Schon 2 Tage und Nächte hatte sich die Hebamme abgemüht. Sie hielt nicht viel davon, dass ein Mann, auch wenn er Arzt war, bei einer Geburt anwesend war. Aber jetzt hatte sie das Dienstmädchen geschickt, um den Doktor kommen zu lassen. Ihre Kunst war zu Ende.
Er klopfte sich den Schnee von seinem Mantel, als er in der Diele stand. Von oben hörte man das Stöhnen und Schreien der Gebärenden.
„Das werde ich Ihnen hoch anrechnen!“ rief der Zoll-Inspektor, als er den Arzt sah. Er war schon im fortgeschrittenen Alter und gehörte als Zoll-Beamter zu den Respektpersonen im Dorf. Sein erstes Kind tat sich sichtlich schwer, auf diese Welt zu kommen. Und seine junge Frau litt fürchterlich.
Der Arzt untersuchte die Frau gründlich. Das Kind steckte offensichtlich im Geburtskanal fest. Und es bestand akute Lebensgefahr für Mutter und Kind.
Bei einer derart fortgeschrittenen Geburt kam auch ein Kaiserschnitt nicht mehr in Betracht. Hier blieb nur noch eine Kraniotomie übrig. Eine unschöne Geschichte: Das Kind töten, um die Mutter zu retten. Man musste dabei den Schädel des Kindes zersprengen, das Gehirn entfernen und dann das tote Kind mit einem Haken herausziehen.
Aber er hatte doch im letzten Jahr auf dem Ärztekongress in Wien den Vortrag über die neuartige Französische Geburtszange gehört. Und er hatte sich eine dieser Geburtszangen in Paris bestellt. Ausprobiert hatte er sie aber noch nicht.
Vielleicht war jetzt die Gelegenheit. Es gab ja nichts zu verlieren! So wie die Situation sich jetzt darstellte, waren Mutter und Kind verloren.
Es war eine Schinderei, aber er schaffte es. Vorsichtig und mit einer leichten Drehbewegung zog er das Kind aus dem Geburtskanal. Es war zwar ganz blau angelaufen, aber nach einigen Klapsen fing es an zu schreien. Ein Junge war es. Die Mutter war erschöpft, aber es bestanden gute Aussichten, dass sie wieder zu Kräften kam.
Als er sich anschließend in der Diele die Hände wusch, schenkte ihm der Zoll-Inspektor einen Obstler ein.
„Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet. Mein erstes Kind; und dann auch noch ein Stammhalter. Ohne Sie wären beide gestorben. Wir werden ihn Adolf nach Ihnen nennen, Herr Doktor
Rosenthal!“
„Das wäre aber wirklich nicht nötig gewesen, Herr Hitler“, antwortete der Arzt und trank seinen Schnaps aus.