Dr. H. Herterich September 1996
Der Vollschutzanzug als Atemluft-Notvorrat
1. Zielsetzung
Eine der Albträume des Feuerwehrmannes ist der Ausfall der Atemluftversorgung in einer absolut lebensfeindlichen Umgebung.
Schon der Gedanke an die Wahl zwischen „Ersticken“ oder „Vergiften“ lässt einen den Angstschweiß ausbrechen.
Der Einsatz mit umluftunabhängigem Atemschutz (Pressluft-Atmer) im Vollschutzanzug (Chemikalienschutzanzug) verlangt - was die psychische und körperliche Belastung angeht - wohl das Äußerste vom Feuerwehrmann.
Das Handicap „Vollschutzanzug“ kann sich aber bei einem Ausfall der Atemluftversorgung zu einer Luftreserve - und damit zum Lebensretter - verwandeln. Der Vollschutzanzug wird zu „äußeren Atembeutel“.
Aus der Herz-Lungen-Wiederbelebung ist bekannt, dass der Sauerstoff-Gehalt der Ausatemluft noch ausreichend für eine Atemspende ist. Es lag deshalb nahe, anhand einiger praktischer Untersuchungen herauszufinden, inwieweit die im Vollschutzanzug vorhandene Ausatemluft in Notsituation als Einatemluft benutzt werden kann.
Erfahrungen in U-Booten bzw. in Bunkern des 2. Weltkrieges zeigen, dass eine CO2-Konzentration bis 4 % auch über Stunden ohne Folgen zu ertragen ist. Ab 8-10 % CO2 wirkt das Kohlendioxid toxisch. Die Erniedrigung des Sauerstoffgehaltes kann bis etwa 10 % (entsprechend einem Partial-Druck von etwa 5500 m über dem Meeresspiegel) noch toleriert werden (s.a. Lit 1).
D.h. ein Mensch, der in einem Behälter ohne Frischluftzufuhr über längere Zeit eingesperrt ist, stirbt nicht an Sauerstoff-Mangel, sondern an einer CO2 –Vergiftung.
==>Bild: Feuerwehrmann im Vollschutz-Anzug
2. Versuchsdurchführung
Unter ärztlicher Aufsicht und ständiger Messung des O2- und CO2-Gehaltes im Vollschutzanzug wurden 2 Versuche durchgeführt.
1. Versuch: sitzend
2. Versuch: gehend
Anzug: Vollschutzanzug mit innenliegendem Pressluftatmer
Testperson: männlich, 72 kg, 176 cm (Brandmeister Friedel Stein)
Nach jeweils 10 Minuten Vorlaufzeit wurde die Atemluft abgestellt; Die Testperson zog sich im Anzug den nun nutzlos gewordenen Atemanschluss (Maske) vom Gesicht und atmete die „verbrauchte“ Luft aus dem Anzug.
Die Versuche wurden jeweils bei ca. 12 % Sauerstoff (Partial-Druck entsprechend 4500 m über NN) und ca. 8 % Kohlendioxid abgebrochen. Die Testperson zeigte leichte Gesichtsrötungen und Schweißausbruch (Blutdruck 160/190). Am folgenden Tag litt der Proband unter einem mittleren „Kater“-Gefühl.
3. Versuchsergebnis:
In Ruhe dauerte es 20 Minuten, im Gehen 10 Minuten bis kritische O2- bzw. CO2-Werte erreicht waren.
Damit war bewiesen, dass die Atmung aus dem Vollschutzanzug eine wirksame Notmaßnahme bei Ausfall der Atemluftversorgung ist.
==> Bild: Diagramm „O2-Gehalt im Vollschutz-Anzug“
Rechnet man das verfügbare Volumen des benutzten Schutzanzuges (ca. 50 l) hoch, so ergibt sich als Faustformel für abgeschlossen Behälter:
Verweilzeit pro Person und m³ = ca. 5 Stunden (in Ruhe) bzw. 2 1/2 Stunden (im Gehen).
4.
Ausblick
In weiteren Versuchen soll das CO2 im Anzug über ein Atemkalk-Filter gebunden werden. Die einfachste Lösung ist (ähnlich wie durch U-Boot-Besatzungen gehandhabt), wenn die verbrauchte Luft des Anzugs durch ein Atemkalk-Filter eingeatmet wird. Bequemer wäre ein kleines elektrisches Gebläse, das die verbrauchte Luft über ein Atemkalk-Filter „umwälzt“ und dabei das CO2. entfernt.
Bei vollständiger Entfernung des toxischen CO2 ist nur noch die O2-Konzentration zeitlimitierend.
D.h., bis zum Erreichen einer O2-Konzentration von 10 % (entsprechend einem Partial-Druck von ca. 5500 m über NN) müsste sich die Einsatzzeit um den Faktor 3-4 verlängern
lassen (entsprechend 30 Minuten im Gehen bzw. 1 Stunde in Ruhe).
Eine weitere Möglichkeit wäre, die O2-Atmosphäre des Anzuges durch Öffnen einer kleinen Sauerstoff-Patrone auf 30-35
% O2 zu erhöhen und gleichzeitig das CO2 im Anzug über das o.g. batteriebetriebene Atemkalk-Gebläse-Filter zu entfernen.
In einem derartigen Fall verdoppelt sich die Einsatzzeit nochmals auf 1 Stunde im Gehen bzw. 2 Stunden in Ruhe.
U.U. kann man mit einem derartigen „Raum-Anzug“ ganz auf die Mitnahme eines Pressluftatmer-Gerätes und damit auf ca. 15 kg Belastung verzichten.
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Lit 1: Dräger-Heft 1982, S. 322