25. Juni 2019
I am lonely, but free
Ich bin jetzt 73 Jahre alt, vor 2 Wochen ist meine Frau ausgezogen, um ein eigenes Leben zu führen. Am nächsten Tag habe mir einen Hund gekauft. In der
Schwäbischen Alb, direkt von der Züchterin. 1.000 km hin und zurück an einem Tag.
Wie sagte Michael Douglas als Gordon Gekko im Film "Wallstreet": Wenn du einen Freund brauchst, kauf dir einen Hund!
Und nun genieße ich meine Tage. Ich bin ein freier Mann. Ich kann machen, was ich will. Niemand nörgelt an mir herum! Zum ersten Mal in meinem Leben; ich
kann es kaum fassen!
Als Kind nörgelte meine Mutter; im Kindergarten meine Erzieherin (damals hieß es Kindergarten-Tante); in der Volksschule meine Lehrerin; im Gymnasium
meine Lehrer (in Bayern hießen sie damals Professoren!); beim Bund zuerst mein Ausbilder, dann mein Zugführer und später mein Kompaniechef.
Im Chemie-Studium der Assistent; danach mein Doktor-Vater (wegen seiner Größe „Wichtel“ genannt; nach Jesus Christus der zweite perfekte Mensch der Weltgeschichte).
Bei Bayer lange Jahre mein Abteilungsleiter (ein egozentrischer, unsicherer Dummkopf, der es durch vorauseilenden Gehorsam bis zum Direktor geschafft hat).
Parallel dazu meine zweite Frau Astrid, eine temperamentvolle und heftige Nörglerin.
Anschließend dann meine jetzige Frau Gertrud als subtile, aber stetige „Beanstanderin“.
Nicht, dass mein gesamtes Leben unerträglich war. Es war halt wie ein Fluss: Manchmal wild, manchmal ruhig, manchmal tosend schnell, manchmal ruhig. Aber
fast immer war dieses Hintergrundrauschen des Nörgelns vorhanden. Nie war jemand völlig mit mir zufrieden.
Und ich war ständig in Abwehrbereitschaft: Was könnte ihm oder ihr wieder nicht gepasst haben?
Jetzt lebe ich mit meinem Hund (einem anhänglichen Parson Russell Terrier; 10 Jahre alt, also vom Hundealter her genauso alt wie ich und daher schon
etwas ruhiger – genau wie ich!)) in einem eigentlich zu großem Haus. Bin zufrieden und genieße jede Stunde.
Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich wirklich frei.
Ich muss niemanden Rechenschaft ablegen. Kann kommen und gehen wann ich will. Wenn mir danach ist, könnte ich spontan mit dem Wohnmobil losfahren. Zum Nordkap oder nach Sizilien. Muss nur den
Hund mitnehmen. Sonst ist alles schon eingeräumt. Und das Geld meiner Pension kann ich mir inzwischen sogar bei Aldi auszahlen lassen!
Niemand meckert, weil die Hecke oder der Rasen nicht geschnitten wurde, weil ich zwei Tage das selbe Hemd anhabe. Weil ich lieber lesen will statt ins Museum zu gehen, weil ich mir einen Bart wachsen lasse, und, und, und…….
Es ist wie ein Traum!
NB.: Die Überschrift stimmt nicht ganz: Ich bin überhaupt nicht "lonely"!
September 2021
Inzwischen ist mein Bart 35 cm lang gewachsen, ich lebe sehr gut alleine mit Nike ("der beste Hund der Welt" nach der Meinung meiner Enkel).
Ich esse, wenn ich Hunger habe; ich schlafe, wenn ich müde bin. Ich führe zum ersten Mal in meinem Leben ein wirklich "selbstbestimmtes Leben". (Nicht ganz: Zweimal am Tag muss ich mit Nike
spazieren gehen.)
September 2022
Anfang des Jahres habe ich meinen 30 cm langen Bart abgeschnitten. Jetzt schaue ich wieder "normal" aus.
Nike geht es gut. Ich genieße mein freies Leben. Jeden Tag! Jede Stunde!
NB.: Fairerweise muss ich sagen, dass meine erste Frau (Kaethe), die Mutter meiner Tochter Anke, aus dem Raster der Nörgler fiel.